Gedanken zu Architektur und Übervölkerung

Sieben Mrd. Menschen auf der Erde, schwindende Ressourcen, giftige Müllberge, Hunger und Klimawandel. Das alles sind Tatsachen und heutige Bedingungen für die Entstehung von Architektur. Stadtplaner sprechen von ‚Überbevölkerung‘ und als deren Folgewirkung von unkontrollierbar wachsenden Städten mit Slums in den Randgebieten. Soziologen sprechen von Wohnungsnot im Zuge des demografischen Wandels. Politiker davon, dass ständig neue, sogenannte ‚smarte‘ Wohnungen geschaffen werden müssen, die Stadt Wien nennt einen aktuellen Bedarf von (je nach politischem Argumentationsbedarf) 7.000 bis 10.000 Neubauwohnungen pro Jahr. Andererseits gibt es in Wien (laut Erhebungen aus dem Jahr 2012) einen aktuellen Leerstand von geschätzten 30.000 Wohnungen. Allein die Gründerzeitsubstanz in Wien bietet Raum für 80.000 Dachgeschosswohnungen mittels Aufstockung oder Ausbau. Damit wäre ein sehr positiver Beitrag zur Stadtverdichtung, zur Förderung der Bauwirtschaft, zur Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen etc. geleistet, statt weiterhin Grünland zu zubetonieren. Aber die für unser Land typische Normen- und Gesetzes- und Regulationsflut oder -wut unterbindet oft jede vernünftige Initiative (oder wollen die Politiker vielleicht einfach gar nicht?).

Natürlich sind bei solchen Zahlenbeispielen sofort die selbst ernannten Wohnbauexperten der Politik zur Stelle und sprechen von Sanierungsbedarf, Wohnqualität, Stadtverdichtung, Bedarfsanalysen, kommen mit Statistiken nd Erhebungen usw. Damit wird dem Normalsterblichen gleich der Nebel des Fachwissens vor sein Bewusstsein gezogen und er schweigt ergriffen. Aber macht sich einmal jemand Gedanken über diese offensichtliche Unvereinbarkeit? Ist das alles nicht vielleicht eine Chimäre? Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte Thomas Robert Malthus (britischer Ökonom) die Theorie, dass die Nahrungsmittelproduktion nicht mit dem Wachsen der Erdbevölkerung mithalten könne. Dieses Dogma und damit das Bild der ‚Überbevölkerung‘ hat sich - wie übrigens sehr viele andere auch, obwohl sie falsch sind - in den Köpfen der Menschen hartnäckig festgesetzt. Sie sind ebenso falsch, beziehungsweise unbewiesen, wie der Glaube, dass wir nur durch Wirtschaftswachstum überleben können, dass unsere Gesellschaft die Produktivitätssteigerung braucht. Vielleicht müssen wir und damit unser Konsumzwang nicht wachsen, sondern schrumpfen? Unser (angeblicher) Mangel an Grünflächen auf der Erdoberfläche lässt sich, wie Beispiele aus dem asiatischen Raum zeigen, sehr leicht in vertikaler Richtung ausgleichen. In einigen Städten des Ostens haben sich daraus bereits Geschäftsmodelle entwickelt: Auf den ungenützten Dächern diverser Hochhäuser in Shanghai oder Peking vermieten clevere Unternehmer palettengroße Flächen mit erdgefüllten Boxen an Bewohner, die hier ihren Drang nach selbst gezüchteten (biologischen) Nahrungsmitteln ausleben wollen. Sogar die Betreuung, wie Gießen und Jäten wird angeboten. Ernten dürfen/müssen die Mieter selbst. 1,2 Quadratmeter um sich und den Traum der Eigenständigkeit zu verwirklichen. Natürlich steckt in diesem Geschäftsmodell ein großes Potenzial: Vertikale Gärten und Begrünungen sind mittlerweile Bestandteil fast jeder zukunftsorientierten, nachhaltigen Architektur. Und auch die Möglichkeit einer teilweisen Autonomie. Im Oktober 2011 verkündete der damalige (und auch jetzige) UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon die Geburt des 7-milliardsten Menschenkindes - eine reine Zahlenspielerei. Macht man sich die Mühe und googelt im Internet die Zahl der aktuellen Weltbevölkerung, erhält man Ergebnisse mit einer Bandbreite von +/- 200 Millionen Menschen. Wer ist also der/die 7-Milliardste? Im selben Atemzug sprach Ban Ki-Moon von Krieg, Hungersnot und Klimawandel als eine Folge des Problems der ‚Überbevölkerung‘. Das wahre Problem der Erde ist sicher nicht die sogenannte ‚Überbevölkerung‘, wobei man sicherlich in einigen Gebieten unserer Welt von ‚Überfüllung‘ sprechen könnte. Wenn man jedoch alle 7 Milliarden Menschen auf die Fläche Österreichs brächte, stünden jedem noch immer mehr als 11 m2 zur Verfügung - das ist mehr, als einem durchschnittlichen Strafgefangenen zurzeit zusteht - der Rest der Erde wäre dann leer. Um es provokant zu formulieren - der Begriff der ‚Überbevölkerung oder Bevölkerungsexplosion‘ dient als perfekte Ausrede und Erklärung für Armut, Hunger, Umweltverschmutzung, Ressourcenknappheit und Kriege. Das wahre Problem unserer Gesellschaft - nicht das der Erde - ist die Verteilungsungerechtigkeit. Allein das Pentagon verbraucht täglich mehr Erdöl als ganz Schweden. Die Einwohner der Stadt New York verbrauchen an einem Tag mehr Energie als der gesamte afrikanische Kontinent und diese Rechenbeispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Wenn nun eine Frau aus Kamerun oder dem Kongo mehrere Kinder zur Welt bringt, trägt sie angeblich zur globalen Überbevölkerung bei, wenn ein deutscher Bürger aber zwei Autos kauft, kurbelt er das Wirtschaftswachstum an. Denken wir doch einmal über dieses - in geschriebener Form - fast schizophren wirkendes - Bewertungsschema nach. 

Wer von uns ist also auf diesem Planeten zu viel?



William Knaack